



Zukunftsbilder für das Stadtklima: Klimaanpassung verständlich und planbar machen.
1,5 Grad, zwei Grad, drei Grad wärmer – was bedeuten solche Prognosen eigentlich konkret? Wie fühlt es sich an, in einem heißeren, trockeneren Klima zu leben, nicht nur für zwei Wochen im Urlaub, sondern immer?
Viele Menschen haben nur eine abstrakte Vorstellung davon, wie die Klimaerwärmung ihr direktes Umfeld verändern wird. Niemand kann im Detail vorhersagen, wie es sich in Kaiserslautern, Mainz, Trier und Ludwigshafen im Jahr 2050 oder 2080 lebt. Aber Sascha Henninger möchte zumindest eine Vorstellung davon vermitteln, was Mitte bis Ende des Jahrhunderts in unseren Städten anders sein könnte, als wir es aus der Vergangenheit gewohnt sind.
Der Professor für Physische Geographie ist Experte dafür, wie sich Klimaveränderungen in Städten auswirken. Er hat Berechnungen und Prognosen in ein greifbares Konzept überführt – die sogenannten Klimazwillinge: Das sind Vergleichsorte, zum Beispiel für Städte in Rheinland-Pfalz, deren heutige klimatische Bedingungen dem entsprechen, was Modelle für unsere Region in den kommenden Jahrzehnten prognostizieren.
Wenig überraschend ist, dass diese zeitversetzten Klimapendants im Süden liegen; in Südwestfrankreich, Spanien und Italien. Der Klimazwilling Kaiserslauterns des Jahres 2080 ist das heutige Calatayud in der Nähe des spanischen Zaragoza, der von Landau die italienische Gemeinde Casalfiumanese, unweit Bologna. Mainz nähert sich klimatisch Toulouse, Koblenz dem französischen Orthez. Trier findet sich im südwestlichen Zentralfrankreich bei Brive-la-Gaillard wieder, Ludwigshafen ´bewegt´ sich ins italienische Umbrien, in die Nähe der Stadt Terni.
Konkrete Bilder statt abstrakter Prognosen
„Wenn ich Modelle für Kaiserslautern durchrechne und zeige, dass sich die klimatischen Bedingungen tief Richtung Südwesten, nach Spanien verschieben, dann können sich viele darunter etwas vorstellen“, sagt der Stadtklimatologe. „Mit einer spanischen Stadt verbindet man heiße Sommer, milde Winter, eine bestimmte Vegetation.“ Henninger möchte keine Schreckensszenarien eröffnen, sondern ein Gefühl dafür vermitteln, was Prognosen bedeuten. „Klimaschutz allein reicht nicht mehr aus. Der Klimawandel findet statt, selbst, wenn wir die Treibhausgasemissionen jetzt auf null setzen könnten. Wir müssen heute darüber nachdenken, wie wir uns an ein verändertes Klima anpassen. Und dafür ist es wichtig, dass wir eine Vorstellung davon haben, worauf wir uns einstellen müssen.“
Basis sind hochaufgelöste Simulationen
Das Modell der Klimazwillinge stützt sich auf Daten aus dem internationalen Projekt CORDEX (Coordinated Regional Climate Downscaling Experiment), das hochaufgelöste Klimasimulationen für unterschiedliche Weltregionen berechnet. Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen vom Forschungszentrum Jülich und der RWTH Aachen hat Henninger einen Algorithmus weiterentwickelt, der insbesondere Temperatur- und Niederschlagsdaten stärker gewichtet und den Klimazwilling-Ansatz gezielt für Fragen der Stadtentwicklung nutzbar macht.
„Wir schauen uns weniger den ökologischen, sondern eher den planerischen Bereich an. Das Modell ermöglicht praktische Rückschlüsse für Architektinnen und Architekten, Städtebau und Stadtplanung. Wenn ich weiß, dass Kaiserslautern künftig ein Klima wie Nordspanien bekommt, dann kann ich mir anschauen, wie dort seit Jahrhunderten mit Hitze und wenig Niederschlägen im Sommer umgegangen wird.“
- Sascha Henninger -
Das gebe Anregungen für Klimaanpassungen – von baulichen Umgestaltungen bis hin zu sozialen Strukturen. Für unsere Städte könnte das heißen: mehr Schatten, etwa durch Sonnensegel, eine widerstandsfähige Begrünung mit geeigneten Stadtbäumen, Versickerungsmulden und Regenrückhalteanlagen sowie veränderte Zeitstrukturen im öffentlichen Leben – Stichwort Siesta.
Kommunikationsinstrument statt präziser Vorhersage
Bei den Klimazwillingen geht es nicht um punktgenaue Vorhersagen, sondern um klimatypische Entwicklungen in vergleichbaren Regionen. Darauf hinzuweisen, ist Henninger wichtig. „Ob ich jetzt 20 oder 30 Kilometer neben dem Ort liege oder genau darauf, ist für das, was wir zeigen wollen, zweitrangig.“ Er stellt außerdem klar, dass das Modell nicht aussagt, dass sich Rheinland-Pfalz lediglich in eine andere Klimazone verschiebe. Das sei zu vereinfachend. Auch sei ein Vergleich zwischen Städten mit unterschiedlichen Höhenlagen aus rein wissenschaftlicher Sicht nicht ideal. „Das Konzept ist vor allem ein Kommunikations- und Veranschaulichungsinstrument, das hilft, ein Gefühl für wahrscheinliche Entwicklungen zu bekommen. Wenn unsere Studierenden in der Siedlungsökologie oder im Bereich Stadtklima mit solchen konkreten Szenarien arbeiten, trägt das dazu bei, dass die nächste Generation von Planerinnen und Planern nicht nur reaktiv handeln, sondern vorausschauend gestalten können.“
Anregungen für Verantwortliche und Planende
Erklärtes Ziel des Klimatologen ist es, das Thema aus der wissenschaftlichen Nische zu holen und aktiv in den politischen Raum zu tragen. „In Diskussionen mit Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern, in Gemeinderäten und mit Bürgerinnen und Bürgern geben anschauliche Bilder Orientierung und erleichtern den Einstieg in Debatten. Man muss die Menschen im wahrsten Sinne des Wortes einweihen – was auf uns zukommt, was man tun kann und wie sich verschiedene Maßnahmen gegeneinander abwägen lassen.“
Denn in der Praxis gehe es selten um Klimadiagramme, sondern um sehr konkrete Zielkonflikte. „In dem Moment, im dem das Internet nicht funktioniert, weil Baumwurzeln Kabel beschädigt haben, interessiert die künftige Wohlfahrtswirkung des Baumes niemanden. Und wenn darüber nachgedacht wird, einen Straßenzug klimaangepasster zu kreieren, ist der Aufschrei groß, wenn dadurch Parkplätze wegfallen.“ Natürlich seien einige Anpassungsmaßnahmen schmerzhaft, unterstreicht Henninger. Umso wichtiger sei es, bereits heute anhand verständlicher Beispiele ins Gespräch zu kommen – bevor später unter Druck entschieden werden muss.
„Instrumente wie das Klimazwillinge-Modell schaffen konkrete Bilder für eine Entwicklung, die zwar sicher kommt, aber oft noch unsichtbar ist. Das hilft uns schon heute, denn wer ein Bild davon hat, wie sich das eigene Umfeld künftig anfühlen könnte, ist besser vorbereitet – und eher bereit, Veränderungen mitzutragen.“

Du willst tiefer in die Stadtökologie eintauchen?
Mehr zum Thema gibt es in der Auswahl an Fachliteratur und Medienberichten zu Sascha Henningers Forschung:
Sascha Henninger und Stephan Weber (2020), Stadtklima, Schöningh, 260 S.
>> ZUM E-BOOK
Sascha Henninger (2011) : Stadtökologie, Bausteine des Ökosystems Stadt, Schöningh, 252 S.
>> ZUR BUCHVERÖFFENTLICHUNG
Christian Stolz und Sascha Henninger (2025): Physische Geographie - Eine zeitgemäße Einführung für Lehramtsstudierende. Räume wahrnehmen – Räume schaffen, Brill/Schöningh, 256 S.
>> ZUR ANKÜNDIGUNG DES BUCHS
Klimazwillinge von RLP: Lebt es sich in RLP in 50 Jahren wie in Südfrankreich?, SWR Aktuell vom 26.2.2025
>> ZUM VIDEOBEITRAG
Planung einer klimagerechten Stadt mithilfe eines Klimazwillings, 3sat NANO vom 11.12.2024, Einstieg bei Minute 14:15
>> ZUM TV-BEITRAG

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