

Wie lassen sich schrumpfende Städte wiederbeleben?
Mit Beginn der Industrialisierung war Stadtentwicklung vor allem auf Wachstum ausgerichtet. Immer mehr Menschen zog es in die industriellen Zentren – Betriebe erweiterten sich und die Städte breiteten sich über ihre historischen Grenzen hinweg aus. Doch das ist – damals wie heute – längst nicht überall der Fall: Einige Städte und Regionen entwickeln sich zurück. Teile des Ruhrgebiets und Ostdeutschlands etwa sind heutzutage davon betroffen.
„Schrumpfende Städte sind ein weltweit verbreitetes Problem“, konstatiert Professorin Karina Pallagst , die an der RPTU zu internationalen Planungssystemen forscht und lehrt. Sie erklärt: „Durch einen Strukturwandel gehen zunächst einmal Arbeitsplätze verloren. Die Bevölkerung wandert darauf hin ab. Es kommt zu Leerständen. Die steuerliche Basis bricht ein und die Kommune kann daraufhin ihre Aufgaben irgendwann nicht mehr richtig erfüllen.“ Die Stadt und oft auch die gesamte Region ist von der Globalisierung abgehängt. Darunter leide dann auch das Image der Städte.
Karina Pallagst selbst wurde schon als Gastwissenschaftlerin in Berkeley an der University of California mit dem Thema konfrontiert: „Dort haben Forschende aus sehr vielen verschiedenen Ländern gearbeitet und es kam irgendwann die Diskussion auf, wie es eigentlich um schrumpfende Städte in Europa steht.“ Eine sehr interessante Frage für die Stadtplanung, wie Pallagst schon damals fand.
Aus diesem Grund hat sie ein internationales Netzwerk gegründet bestehend aus Expertinnen und Experten, die sich intensiv mit der Thematik auseinandersetzen. Daraus ist das von der Europäischen Union geförderte Projekt „Reviving shrinking cities – innovative paths and perspectives towards livability for shrinking cities in Europe“ – kurz RE-CITY – entstanden. Auf Deutsch: „Schrumpfende Städte wiederbeleben – innovative Wege und Perspektiven zur Lebensqualität schrumpfender Städte in Europa.“
„Die betroffenen Städte müssen sich neu erfinden“
Wie Städte mit ihrer Schrumpfung umgehen – und was andere Städte daraus lernen können, ist die zentrale Forschungsfrage hinter dem Projekt. Ein entsprechender Strukturwandel betreffe auch die Stadt Kaiserslautern, wie Karina Pallagst ergänzt – nachdem wichtige Arbeitgeber wie etwa Pfaff weggefallen seien.
„Die betroffenen Städte müssen sich neu erfinden.“ Gleichzeitig stellen die früheren Industrien und ihre Standorte auch ein wichtiges kulturelles Erbe dar. Genau mit dieser Herausforderung gehen Städte weltweit sehr unterschiedlich um, wie die Forschenden von RE-CITY festgestellt haben. Karina Pallagst: „Die Kommunen haben verschiedene Lösungswege, was etwa mit Leerständen passiert. Um für mehr Lebensqualität zu sorgen, kann man für die Flächen alternative Nutzungen wie grüne Infrastruktur und Ersatzindustrien finden.“
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Projektleiterin Pallagst haben sich exemplarisch verschiedene schrumpfende Städte angeschaut: Dazu gehörten beispielsweise Leipzig und Halle in Deutschland, Bilbao in Spanien, und Zeeland in den Niederlanden.
„Wir haben untersucht, welche Konzepte und welche Strategien verfolgt wurden. Ob und welche Ideen von anderen Städten als gute Beispiele übernommen werden könnten, und auch, ob die vor Ort handelnden Akteurinnen und Akteure überhaupt die Richtigen sind.“
Karina Pallagst
Nicht nur international, sondern auch interdisziplinär sind sie diesen Fragen nachgegangen: Neben Raumplanenden saßen Architektinnen und Architekten, Geografinnen und Geografen, Wirtschaftsexpertinnen und -experten sowie Soziologinnen und Soziologen gemeinsam im Boot. Karina Pallagst: „Wir haben Schrumpfungsprozesse aus historischer, geografischer, planerischer, ingenieur-, sozial- und wirtschaftswissenschaftlicher Sicht betrachtet.“
Forschen im internationalen Umfeld
Ganz konkret haben sich 13 internationale Doktorandinnen und Doktoranden jeweils einem Teilgebiet der Thematik gewidmet. Im Rahmen eines strukturierten Trainingsprogramms konnten die jungen Forschenden nachhaltige und innovative Strategien und Konzepte für schrumpfende Städte entwickeln. Es habe ihr sehr viel Spaß gemacht, mit den jungen Leuten zusammen zu arbeiten, erzählt Karina Pallagst, „sie in dieser spannenden Phase ihres Werdegangs zu begleiten.“ Und: „Es ging uns bei dem Projekt letztendlich ja auch darum, Expertinnen und Experten auszubilden“, eine neue Generation von Stadtplanerinnen und Stadtplanern sozusagen.
Eine erste Herausforderung für die jungen Forschenden stellte sich durch Mobilität: „Die Promovierenden wurden entsprechend der Leitlinien des EU Forschungsprogramms mit ihrem jeweiligen Teilprojekt ganz bewusst in einem anderen Land eingesetzt.“ Insgesamt 16 Einrichtungen waren an den wissenschaftlichen Untersuchungen beteiligt, neben der RPTU auch beispielsweise die Bertelsmann-Stiftung, Cambridge Architectural Research, die TU Dortmund, die Universitäten in Amsterdam, Porto und die ENS in Paris.
Benchmark für schrumpfende Städte
Einer der Doktoranden ging beispielsweise dem Thema „Shrinking smart“ nach, – was so viel bedeutet wie „Intelligent Schrumpfen“. Er hat ein Benchmark-System entwickelt, also einen Vergleichsmaßstab, der Städten aufzeigt, an welcher Stelle im Schrumpfungsprozess sie sich derzeit befinden und welche Optionen sich ihnen bieten. Karina Pallagst: „So können die Verantwortlichen sehen, was in ihrem individuellen Fall das geeignete Vorgehen wäre.“ Ein weiterer Doktorand hat sich dem Thema grüne Wirtschaft gewidmet und dabei untersucht, in welchen schrumpfenden Städten es gute Beispiele für neue Energiesysteme gibt. So habe etwa das Beispiel einer französischen Stadt gezeigt, dass alternative Energien bewusst auch als Wirtschaftsfaktor genutzt werden können.
Beim Hochwasserschutz von anderen lernen
Ein weiteres Teilprojekt widmete sich der Frage, wie schrumpfende Städte mit Hochwasser-Katastrophen umgehen können. Karina Pallagst: „Viele schrumpfende Städte sind zugleich Hafenstädte. Einige haben allerdings nur eine sehr kleine Hafeninfrastruktur.“ Das führe zu Problemen, denn die heutigen großen Containerschiffe können dort nicht anlegen, wodurch diese Städte nun Strukturwandel und Schrumpfungsprozesse bewältigen müssen. „Gleichzeitig haben sie aufgrund ihrer Lage aber ein Hochwasser-Problem.“ Eine der Doktorandinnen habe sich genau damit beschäftigt: „Thema ihrer Arbeit war es, Strategien zu entwickeln, was betroffene Städte bei der Ausweisung von Flächen mit Blick auf Resilienz berücksichtigen sollen.“ Kurzum, wie sich mit mehr freier Fläche der Hochwasserschutz bewerkstelligen lässt.
Auch das Thema Migration ist für schrumpfende Städte relevant, wie eine weitere Doktorarbeit untersucht hat. Denn: Der häufige Leerstand, mit dem viele schrumpfende Städte zu kämpfen haben, könnte mancherorts für die Unterbringung von Migrantinnen und Migranten genutzt werden. Kleine Läden könnten von den so Neu-Angesiedelten bewirtschaftet werden – und schrumpfende Städte eine Art Renaissance erfahren.
Ergebnisse über Online-Kurs frei zugänglich
Die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben ihre unterschiedlichen Fragestellungen und Lösungswege rund um das Schlagwort „Schrumpfende Städte“ in einem Handbuch zusammengetragen. Das „Handbook on Shrinking Cities“ ist bei Edward Elgar Publishing er.
Darüber hinaus werden die Ergebnisse auch digital präsentiert – im Rahmen eines Online-Kurses, der zusammen mit dem Fernstudienzentrum der RPTU entstanden ist. KLOOC (Kaiserslauterer open online course) nennen sich die frei zugänglichen Lern-Werkzeuge für große Teilnehmerzahlen der RPTU. „Unser Kurs enthält Lern-Videos, die kompakt die Möglichkeiten für schrumpfende Städte vorstellen. Zudem gibt es Selbstlern-Einheiten.“ Mit einem Zertifikat kann man abschließend belegen, dass man den Kurs absolviert hat.
Das EU-Projekt ist inzwischen beendet. Doch gemeinsam mit ihrem Netzwerk will Karina Pallagst nun schauen, „welche Themen und Ergebnisse für die Zukunft schrumpfender Städte genutzt werden können“. So werde das Thema Digitalisierung für schrumpfende Städte immer wichtiger. Und die vielen im Projekt gewonnen Erkenntnisse sollen auch weiterhin vermittelt werden – anwendbar für verschiedene Zielgruppen. So wurde etwa auch ein Lern-Video für den Geografie-Unterricht der gymnasialen Oberstufe entwickelt, das mittlerweile im Einsatz ist. Auch über andere Wege sollen die Informationen weiter gegeben werden. „Damit werden wir in der nächsten Zeit sicher noch einiges zu tun haben.“ Denn eines ist klar: Für die Forschung zu schrumpfenden Städten gibt es noch viele Aufgaben.

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Weiterführende Informationen bieten die folgenden wissenschaftlichen Publikationen:
Pallagst, Karina; Fleschurz, René; Nothof; Svenja; Uemura, Tetsuji (2021): Shrinking cities - implications for planning cultures?; in: Urban Studies VOL. 58 (1); S.164-181. DOI: 10.1177/0042098019885549.
>> ZUM BEITRAG
Pallagst, Karina; Bontje, Marco; Cunningham-Sabot, Emmanuèle; Fleschurz, René (Hrsg.) (2022): Handbook on Shrinking Cities; Edward Elgar Publishers; Research handbooks in urban studies series. Cheltenham/UK. ISBN: 978 1 83910 703 0. (Buchveröffentlichung)

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