

Nachhaltig und renditestark: „Grüne“ Investments mathematisch perfektionieren
Investieren mit gutes Gewissen – nachhaltige Geldanlagen machen es möglich. Zum Beispiel gibt es klassische Fonds, die unterschiedliche Aktien aus dem Bereich Umweltschutz oder klimafreundliche Technologie zusammenfassen. Zu erkennen sind sie oft an Zusätzen wie „Sustainable“, „Fair“ oder „Responsible“. Manchmal ist schon am Fonds-Namen zu erkennen, dass bestimmte nicht-nachhaltige Bereiche – Rüstung oder Erdöl – ausgeklammert wurden.
Aber was muss eine „grüne“ Geldanlage überhaupt mitbringen, um tatsächlich etwas zu bewirken, um einen sogenannten Impact zu haben? Da müssen Anleger genau hinschauen, sagt der Finanzmathematiker Ralf Korn. Investments in einen Bestandswald zum Beispiel rechnet er nicht den nachhaltigen Investments zu. „Der Wald war schon vorher da. Es wechselt also nur viel Geld den Besitzer. Davon haben Umwelt und Klima nichts." Bei Neupflanzungen von Wald sieht es ganz anders aus – diese sind zusätzliche Treibhausgassenken.
„Gute nachhaltige Geldanlagen sind für mich grundsätzlich immer echte strukturelle Investments, die etwas verändern. Da gibt es eine ganze Reihe: Investments in Wind- oder Solarparks, im Bereich Wasserstofftechnologie, Energiespeicher, energetische Sanierung von Gebäuden. Oder auch Investments im Bereich Verbesserung der Wasser- und Luftqualität oder Förderung der Kreislaufwirtschaft.“ Nachhaltig sei auch der Erwerb von Aktien von Unternehmen, die an solchen strukturellen Investments beteiligt sind. Ein weiterer wichtiger Faktor für Korn ist die Renditeerwartung. Einfach nur nachhaltig sein reicht nicht aus. Die Aktien sollten auch gute Erfolgschancen haben – sonst legt niemand sein Geld an.
Der Verlauf von Aktien ist nicht vorhersehbar
Korn kennt sich mit Investments und den versteckten Mechanismen, die über deren Erfolg oder Misserfolg entscheiden, bestens aus. Er gründete die Abteilung für Finanzmathematik am Fraunhofer Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM in Kaiserslautern, das eng an den Fachbereich Mathematik der RPTU Kaiserslautern-Landau angebunden ist. Finanzmathematik, das ist die Anwendung von Mathematik auf finanzielle Belange – wie eben Geldanlagen. Korn arbeitet daran, Anlageportfolios nachhaltiger zu machen. Dafür entwickelt er mathematische Modelle, die Fondsanbietern helfen sollen, die optimale Strategie zu finden. Sie können ihre Fonds damit so steuern, dass ein möglichst gutes Investmentergebnis herauskommt – und gleichzeitig möglichst viel Nachhaltigkeit im Fonds drinsteckt.
Das mathematische Problem, das Korn dabei in den Griff bekommen muss, ist ein stochastisches Steuerungsproblem. Der Begriff Stochastik vereint die Bereiche Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik und wird auch „Kunst des Vermutens“ genannt. Es geht um Entwicklungen in der Zukunft, die von vielen Unsicherheiten und Zufällen abhängen. Wie der Verlauf von Aktienkursen in den nächsten drei Monaten oder drei Jahren. „Die Preise, das Interesse der Anleger an einem bestimmten Typ Anlage, das Rating – alles unterliegt zufälligen Schwankungen über die Zeit hinweg“, erklärt Korn. Er versucht, mit seinen Modellen den Zufall zu zähmen, so weit es eben geht. „Natürlich hat das Grenzen. Ich kenne zwar die Faktoren, die Aktienkurse beeinflussen, und kann sie mathematisch beschreiben. Aber die Aktienentwicklung mit Sicherheit vorhersagen kann ich nicht.“
Annahmen erleichtern die Arbeit
Daher nähert sich Korn der von Unsicherheiten durchzogenen Geldanlage-Wirklichkeit mit mathematischen Modellen an. Modelle, die das reale System Aktienmarkt in einer Formel mit vielen Variablen darstellt. Ausgestattet werden die Formeln mit vereinfachenden Annahmen. Eine lautet: Der Handel ist jederzeit und ohne Transaktionskosten möglich. Eine andere Annahme: Es gibt bestimmte typische Verläufe von Aktienpreisen. Sie verlaufen nicht als gerade Linie, sondern gezackt. Man kennt diese Kursverläufe von DAX, Dow Jones oder Nasdaq: eine stetige, aber gezackte Linie. Eine dritte Annahme besagt, dass beliebige Stückelungen der Aktien erlaubt sind. Stückelung heißt, die Wertpapiere werden sozusagen in kleinere Einheiten zerlegt. „Durch diese Annahmen machen wir Mathematiker uns die komplizierte Welt etwas einfacher, denn wir benötigen Voraussetzungen, um unsere Modelle überhaupt aufstellen zu können.“
Was ein solches Modell auch enthält, sind Nebenbedingungen. Die wichtigste: Der Fonds ist nachhaltig! Eine Muss-Anforderung, die nicht zu umgehen ist und keinen Spielraum lässt. In den letzten Jahren hat Korn zusammen mit seiner Kollegin Alja Nurkanovic mehrere Modelle ausgearbeitet, die neben der „Königsbedingung“ Nachhaltigkeit weitere eingrenzende Nebenbedingungen enthalten. Beim ersten Modell lautete diese: Das Portfolio, also die Gesamtheit der Aktien in einem Fonds, muss der Nachfrage nach Nachhaltigkeit entsprechen. Es soll mindestens so viele nachhaltige Aktien enthalten, wie es die Anleger wollen. Jedoch gibt es hier auch ein Art Absicherung für die Anbieter: Sie müssen nur so viel Nachhaltigkeit verkaufen, wie sie besitzen.
„Dieses erste Modell stellte eine Portfolio-Optimierung mit Minimalanforderung dar“, sagt Korn. Im zweiten Modell ging es darum, wie der Staat so in den Markt eingreift, dass die Anleger automatisch – fast ohne es zu merken – in nachhaltige Fonds investieren. „Das klappte mit einem einfachen Trick. Wir haben einen künstlichen Markt geschaffen und die mittleren Ertragsraten der einzelnen Investments manipuliert. Sie hier durch Besteuerung der Dividenden gesenkt oder dort durch Zusatzboni auf die Dividenden erhöht.“
Das dritte Modell
Diese beiden ersten Arbeiten lieferten die Bausteine, die in ein drittes Modell einflossen. Dem bisher umfassendsten, das weit in die Zukunft reicht und die künftige Entwicklung des Erdklimas einbezieht. Die Annahme lautet: Irgendwann wird der Staat beschließen, dass es wegen der voranschreitenden Erderwärmung mehr Investments in nachhaltige Geldanlagen braucht. Investments in Technologien, die dazu beitragen, die globalen Treibhausgasemissionen zu senken und damit den Erwärmungsprozess zumindest zu verlangsamen.
Um diese Geldanlagen zu fördern, übt der Staat Druck auf den Aktienmarkt aus. Sobald es zum Beispiel eine Erwärmung von 1,5 Grad gibt, tritt eine vorher gesetzlich fixierte Verordnung in Kraft. Die schreibt den Fondsgesellschaften vor, dass sie einen bestimmten Anteil nachhaltigen Geldanlagen im Portfolio haben müssen. Zum Beispiel mindestens 80 Prozent. "Dieser Beschluss schwebt die ganze Zeit drohend über den Köpfen der Fondsanbieter“, erklärt Korn. Sie wissen zwar nicht, wann die 1,5-Grad-Marke erreicht ist, ob im Jahr 2032 oder erst 2038. Aber sie wissen, dass es irgendwann passiert und was dann auf sie zukommt.
Die Klimawandel-Formel
Bei der Vorbereitung auf den Tag X hilft das dritte Modell. Es ist das Modell, das künftige klimapolitische Entscheidungen als Annahme eingebaut hat. Damit möchte Korn seine Forschung in die Anwendung bringen, und die idealen Adressatengruppe dafür hat er auch schon im Blick: die deutschen Lebensversicherer. Sie legen sogenannte fondsgebundenen Lebensversicherungen auf, eine Kombination aus Fondsanlage und Lebensversicherung. Ihr Anlagebestand 2024 betrug über eine Billion Euro, sie sind also ganz große Player. Zudem investieren sie schon seit Jahren viel in Wind- und Solarparks, Gebäude oder Unternehmensbeteiligungen mit nachhaltigen Aspekten. „Sie tun das, weil die Ansparphase einer Lebensversicherung lang ist, weswegen sie Kapital über einen sehr langen Zeitraum anlegen müssen“, erklärt Korn.
Aber was bekommen die Lebensversicherer von Korn konkret in die Hand, womit optimieren sie ihr Geldanlage-Portfolio? Es ist eine Formel, die Handlungsempfehlungen gibt. Sie zeigt, welche Anteile des Gesamtvermögens in Abhängigkeit von Zeit und Klimaentwicklung – mathematisch ausgedrückt „t“ und „K(t)“ – in welche Aktien investieren werden sollten. Die Empfehlung, die bei Anwendung der Formel herauskommt, kann möglicherweise so lauten: Investiere 25 Prozent deines Gesamtvermögens in Aktie B! Wie viele Aktien der Lebensversicherer dann kauft, hängt vom Aktienpreis und von seinem aktuellen Vermögen ab. Das Modell spuckt zum Beispiel die Zahl 10.000,3769 aus, und der Lebensversicherer kauft 10.000 Aktien.
In die Formel eingebaut ist ein Mechanismus, der die Investitionen schrittweise in die richtige, in diesem Fall: die nachhaltige Richtung lenkt. Dass das schrittweise passiert, hat einen Grund. Am besten für Lebensversicherer wäre es zwar, alle Nachhaltigkeitsaspekte lange zu ignorieren und erst im letzten Moment, kurz bevor die Verordnung zu greifen beginnt, durch Transaktionen die geforderte Nachhaltigkeit des Portfolios sicherzustellen.
Große Fondsanbieter können sich das aber nicht leisten, weil sie bei den notwendigen Last-Minute-Käufen von nachhaltigen Anlagen oder den Verkäufen von nicht-nachhaltigen Anlagen riesige Liquiditätsprämien zahlen und Liquiditätsabschläge in Kauf nehmen müssten, erklärt Korn. Also sorgt seine Formel dafür, dass sich das Portfolio allmählich an die klimatische Entwicklung anpasst. Dabei wird die Investitionsstrategie fortwährend neu berechnet. So kann der Versicherer kontinuierlich kleine Umschichtungen vornehmen – und hat genau zum richtigen Zeitpunkt, bei Inkrafttreten der an die Klimaentwicklung gekoppelten Verordnung, automatisch das richtige Portfolio. „Sollte die Politik dem Aktienmarkt irgendwann wirklich mit Klima-Verordnungen drohen, könnten meine Modelle den Versicherern als Handlungsanweisung dafür dienen, wie die Erfüllung der Vorgaben kostengünstig umzusetzen ist.“
Den Wirtschaftsstandort Deutschland stärken
Die Formel steht also bereit. Die nötigen Kontakte in die Branche hat Korn auch. So war er unter anderem 20 Jahre im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Versicherungs- und Finanzmathematik. Jetzt müssen die Lebensversicherer nur noch zugreifen und die Formel anwenden, um ihr Portfolio klimaresilient zu machen. Bis es soweit ist, setzt Korn seine Optimierungsarbeit fort. Er erweitert die mathematischen Modelle für ein optimiertes nachhaltiges Investment und stattet sie mit noch mehr Details aus.
Im neuesten Modell gibt es die zusätzliche Bedingung, dass es verboten ist, bei nicht-nachhaltigen Geldanlagen Leerverkäufe durchzuführen und sich so die Nachhaltigkeit der gesamten Geldanlage zu erschleichen. Leerverkauf heißt, dass eine Aktie heute verkauft, aber erst zu einem späteren Zeitpunkt geliefert wird. Sie taucht also auch erst später im Portfolio des Käufers auf. Der hat sie zwar schon gekauft, holt sich aber noch kein negatives Rating für die nicht-nachhaltige Geldanlage ab.
Dass nachhaltige Investments besser werden und an den Klimawandel anpassbar sind, sei unglaublich wichtig für den Erhalt des Wohlstands, ordnet Korn seine Arbeit ein. „Ich glaube, es ist fast die einzige Chance für den Wirtschaftsstandort Deutschland, auf grüne Technologie zu setzen. Wir haben mit den Wind- und Solarparks die besten Anlagen im eigenen Land. Wenn wir die noch intelligent und robust steuern, können wir auch wieder weltweit führend werden. Dafür braucht es aber auch kluge nachhaltige Geldanlagen. Diese müssen gut performen, sonst sind sie schnell nicht mehr gefragt.“

Du willst mehr über Finanzmathematik wissen?
Dann findest Du hier eine Auswahl an Fachliteratur:
Ralf Korn (2025) A Framework for Optimal Portfolios with Sustainable Assets and Climate Scenarios
European Actuarial Journal, Volume 15, 1-13.
>> ZUR FACHPUBLIKATION
Ralf Korn (2024) Uncertainty as an ingredient in financial modeling. Snapshots of modern mathematics from Oberwolfach, No. 4, 2024
>> ZUM FACHBEITRAG
Ralf Korn, Bernd Luderer (2019) Mathe, Märkte und Millionen, erschienen bei Springer Spektrum, Wiesbaden.
>> ZUR BUCHVERÖFFENTLICHUNG

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