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Migranten sitzen auf der Bahnhofstreppe am Kölner Hauptbahnhof.
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Refugees, educated – excluded?
The concept of Inclusion is on everyone's lips, but how can we enable refugees to participate in everyday life, the labour market and education? According to education researcher Lisa Rosen, these are crucial questions that society needs to ask itself.
Was bringt eine gute Ausbildung im Herkunftsland, wenn behördliche Barrieren ausbremsen? Eine Gesellschaft tut not, in der alle ihre Begabungen entfalten können.

Warum Qualifikation oft nicht genügt – und wie die Wissenschaft Wege zu echter Inklusion weist

Geflüchtete suchen in Deutschland vor allem Schutz vor Krieg, Verfolgung und Gewalt. Mit welchen Herausforderungen haben sie dabei zu kämpfen? Wie nehmen sie diese wahr? Und was könnte bei der Integration in Bildung und Arbeitsmarkt besser laufen? Forschende wollen grundlegende Fragen klären.

Bereits im Jahr 2023 zeigte die sogenannte „Mitte-Studie" – bei der im Auftrag der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung alle zwei Jahre die Einstellungen der gesellschaftlichen Mitte abgefragt werden – dass acht Prozent der Menschen in Deutschland ein rechtsextremes Weltbild teilen. In den Vorjahren waren es noch zwei bis drei Prozent. Von Vertreterinnen und Vertretern aus eben jenen Reihen ist sinngemäß öffentlich zu hören, dass Migration die Wurzel vielen Übels sei – verantwortlich für Gewalt oder Wohnungsnot. „Viele Menschen haben Angst vor Zuwanderung“, ordnet es Professorin Lisa Rosen ein. „Die weiße Mittelschicht hat Angst, sie könne ihre Privilegien verlieren.“

Der Arbeitsmarkt braucht Zuwanderung

Dabei braucht allein schon der Arbeitsmarkt in Deutschland Zuwanderung. Wie also kann es gelingen, dass Migration keine Angst hervorruft? Was kann getan werden, um geflüchtete Menschen zu integrieren? „Wir müssen von der Vorstellung weg, dass irgendjemand integriert werden muss. Nicht die Menschen sind das Problem, sondern die institutionellen Barrieren“, sagt Lisa Rosen. Die Aufgabe sei keine Einbahnstraße: „Es geht um die Inklusionsfähigkeit der Gesellschaft, der Schulen und des Arbeitsmarktes.“

Oder anders ausgedrückt: Die Gesellschaft insgesamt sei gefordert, Strukturen zu schaffen, die es jedem Menschen ermöglichen, ein wertvoller Teil eben jener Gesellschaft zu sein. Möglich werde dies, wenn Teilhabe ermöglicht wird, sagt die Erziehungswissenschaftlerin – und benennt ein aus ihrer Sicht zentrales Problem: Noch können hierzulande längst nicht alle ihre Begabungen entfalten: „Weil beispielsweise Mehrsprachigkeit nur in ihrer elitären Form mit prestigeträchtigen Sprachen an Schulen erwünscht ist.“

Erziehungswissenschaften haben „Übersetzungsproblem“

Inklusion ist eine Mammutaufgabe – muss viele Hindernisse überwinden. Und nicht immer komme das, was etwa die erziehungswissenschaftliche Forschung empfiehlt, schnell in die Praxis, resümiert Rosen: „Wir haben ein Übersetzungsproblem.“ So habe die Forschung in den vergangenen Jahren zahlreiche Forderungen herauskristallisiert, die im „wahren Leben“ wenig Gehör finden. „Die aber wichtig wären, um Barrieren und Diskriminierung abzubauen.“ Die Abschaffung des selektiven Schulsystems gehört laut Rosen dazu. „Der Ausbau von Ganztagsschulen.“ Und auch, dass es nicht zu früh in der schulischen Karriere eine Laufbahnempfehlung gibt.

Gesucht: Neue Konzepte

Doch auch neben der Schule gibt es viel zu tun. Der Arbeitsmarkt brauche mehr Flexibilität, meint Lisa Rosen. „Wir müssen uns fragen, wie ein Quereinstieg besser gelingen kann.“ Ein Quereinstieg beispielsweise von geflüchteten Menschen, die qualifiziert sind, aber noch nicht gut Deutsch sprechen: „Wir haben zu viele Menschen, die fachlich kompetent sind, aber keine Arbeit aufnehmen dürfen“ – weil sie als Zugewanderte etwa keine Arbeitserlaubnis haben. „Hier werden Konzepte benötigt, mit denen sich ein Quereinstieg einfacher realisieren lässt. Damit wäre den Geflüchteten geholfen. Gleichzeitig hat man etwas gegen den Fachkräftemangel getan.“

Ist denn beim Thema Inklusion alles eine einzige Baustelle? Nein, in den vergangenen Jahren habe sich bereits einiges getan, konstatiert die Professorin. Die Schulpflicht nennt sie als Beispiel: Die galt tatsächlich bis vor einiger Zeit in einigen Bundesländern für Neu-Zugewanderte nicht. „Dabei ist es so wichtig, dass neu zugewanderte Kinder im schulpflichtigen Alter von Anfang an eine Regelschule besuchen können – und nicht in Sondermaßnahmen ausgegliedert werden. Nur so werden echte Teilhabe und ein Alltag mit Gleichaltrigen möglich.“

Die Basis für Teilhabe: Einander verstehen

Wie Teilhabe gelingen kann – das ist eine zentrale Frage des Forschungsteams um Lisa Rosen. In einem ihrer Projekte geht es beispielsweise um die Machtungleichheit zwischen Geflüchteten und ehrenamtlichen Flüchtlingshelfenden: Wie nehmen beide Seiten diese wahr? Dafür hat sich Lisa Rosen mit ihrem Team Patenschaftsprojekte angeschaut – und zunächst die dort Helfenden befragt, „ob und wie diese eine solche Ungleichheit empfinden“. Bei den Helfenden sei zu beobachten gewesen, so fasst es Rosen zusammen, dass sie Mitgefühl empfinden, „angesichts der schwierigen Situation, in der sich die Geflüchteten befinden“. Zugleich werden sich die Helfenden aber auch ihrer eigenen Privilegien bewusst: „Etwa, wenn sie erkennen, welche Schwierigkeit Geflüchtete haben, eine Wohnung oder einen Arbeitsplatz zu finden – sofern sie überhaupt eine Arbeitserlaubnis erhalten.“ Bei den Geflüchteten indes, so schildert Lisa Rosen ihre Untersuchungsergebnisse weiter, bestehe ein großes Gefühl der Dankbarkeit. „Sie würden sich bei den Helfenden gerne revanchieren.“ Aber das sei – aufgrund ihrer begrenzten Mittel – nun mal schwierig.

„Critical Service Learning“– Lernen beim Engagieren

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt das Projekt „Critical Service Learning“. Hierbei engagieren sich Studierende als Mentorinnen oder Mentoren in Lerntandems und unterstützen auf diese Weise neuzugewanderte oder geflüchtete Mentees. „Die Studierenden sind dort, wo ansonsten Ehrenämtler arbeiten“, schildert Lisa Rosen. Neben der Unterstützung beim Lernen der deutschen Sprache besuchen die Lerntandems gemeinsam Lieblingsorte. Das Team um Lisa Rosen begleitet all dies durch (Selbst-)Reflexion: „Im Rahmen unserer Forschung schauen wir uns an, wie die Studierenden all dies erleben.“ Welche Erkenntnis gibt es bereits? „Die Studierenden erkennen, unter welchem Druck die Geflüchteten stehen“ – sei es durch Fragen des Aufenthaltsstatus, die Wohnungssuche oder den Zugang zum Arbeitsmarkt. Darüber hinaus lernen sie, eigene Vorannahmen kritisch zu hinterfragen: „Sie begreifen, dass Traumata im deutschen Migrationsregime selbst erzeugt werden – und erkennen zugleich die Handlungsfähigkeit der Geflüchteten.“

Bildet unsere kulturelle Welt die globale Welt ab?

Mit dem Thema soziale Ungleichheit setzt sich das Forschungsteam um Rosen auch international vergleichend auseinander: In einem EU-Projekt geht es um die Frage, wie durch kulturelle Bildung soziale Gerechtigkeit ermöglicht werden kann: „Ist beispielsweise die globale Welt in unserer kulturellen Welt abgebildet? Vermitteln unser Kinoprogramm, unsere Museen – und auch weitere kulturelle Einrichtungen – Einblicke in die ganze Welt? Oder nur einen eurozentrischen Ausschnitt?“

Oder anders ausgedrückt: Wie können kulturelle Bildungsangebote helfen, soziale Ungleichheit ins Bewusstsein zu bringen? Mit dieser Frage befasst sich das Projekt „Exploring and Educating Cultural Literacy through Art“ (EXPECT_ART), das von der Europäischen Union gefördert wird. Koordiniert wird es an der Syddansk Universitet in Dänemark. Mit dabei sind insgesamt sechs Universitäten und sechs kulturelle Bildungseinrichtungen aus sechs europäischen Ländern.

„Es geht um die Inklusionsfähigkeit der Gesellschaft, der Schulen und des Arbeitsmarktes.“
Lisa Rosen

„Die beteiligten Universitäten arbeiten jeweils mit einer Bildungseinrichtung vor Ort zusammen.“ Das Team um Rosen kooperiert mit der Kinemathek in Karlsruhe: „Gemeinsam mit den Filmvermittlerinnen und Filmvermittlern entwickeln wir Bildungsangebote für Kinder und Jugendliche.“ Die Erforschung dieser Angebote wiederum ist Gegenstand von Lisa Rosens partizipativer Forschung: „Wir werten unter anderem teilnehmende Beobachtungen und Interviews aus, diskutieren und revidieren die Ergebnisse mit den beteiligten Akteurinnen und Akteuren.“

Ziel sei es zu verstehen, „inwieweit wir alle in unserem Alltag und unserem kulturellen Handeln in Ungleichheitsverhältnisse eingebunden sind“. Und wie sich die Reflexion sozialer Ungleichheit von Kindern, Jugendlichen, Lehrkräften und der interessierten Öffentlichkeit verbessern lassen.

Ein Beispiel für Ungleichheitsverältnisse sei die Kanonbildung in der Kunst- und Kulturgeschichte, sagt Rosen. Dabei bezeichnet ein Kanon die Sammlung von Werken, die als besonders wertvoll und repräsentativ gelten. „In der deutschen Kunstgeschichte werden häufig die Werke von weißen, männlichen Künstlern bevorzugt, während Werke von Frauen, People of Color oder queeren Künstlerinnen und Künstlern marginalisiert oder ausgeschlossen wurden.“ Dieser Ausschluss spiegele gesellschaftliche Machtverhältnisse wider und führe laut Rosen dazu, „dass bestimmte Perspektiven und Erfahrungen nicht oder nur verzerrt dargestellt werden“.

Lisa Rosen ergänzt: „Bestimmte kulturelle Ausdrucksformen oder Themen werden in kulturellen Bildungsangeboten also nicht ausreichend berücksichtigt und erschweren damit auch den Zugang zu kultureller Teilhabe und die Anerkennung vielfältiger kultureller Perspektiven. Die Reflexion dieser Ungleichheitsverhältnisse hat zum Ziel, eine diskriminierungskritische Lesefähigkeit zu entwickeln, die es allen Beteiligten ermöglicht, gesellschaftliche Ungleichheiten zu erkennen und zu hinterfragen.“

Sich selbst hinterfragen

Was könnten wir alle tun, um Inklusion zu ermöglichen? In den Medien werde vor allem Negatives über Geflüchtete und Migrantinnen und Migranten berichtet, führt Lisa Rosen aus. Dabei gebe es doch so viel Positives: Die Erfinder des ersten zugelassenen mRNA-Impfung gegen Covid-19 beispielsweise seien Kinder sogenannter Gastarbeiter. „Es bräuchte mehr Repräsentativität: Ärztinnen und Ärzte, Lehrkräfte, Forschende, Politikerinnen und Politiker, Künstler und Künstlerinneninnen of Colour, die in der Öffentlichkeit sichtbar sind.“ Was kann der Einzelne tun? „Sich selbst hinterfragen, wie sehr wir geprägt sind von den Medien und auch von unserem kolonialen Erbe.“ Kritische Selbstreflexion – vielleicht der erste entscheidende Schritt zur Inklusion.

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Weiterführende Literatur:

tom Dieck, Fenna & Rosen, Lisa (Hrsg.) (2024): Freiwilliges Engagement im Kontext von Flucht und Asyl - Empirische Einblicke in die (pädagogische) Praxis. Perspektiven - Soziale Arbeit in der Migrationsgesellschaft und muslimische Wohfahrtspflege — Nr. 1 (2024).

Köhler, Sina-Mareen & Rosen, Lisa (Hrsg.) (2024): Transnationale schulische Bildungsräume - Rekonstruktionen von (Berufs-)Biographien schulischer Akteur*innen. Tertium Comparationis - Journal für International und Interkulturell Vergleichende Erziehungswissenschaft — Vol. 30, No.1.

Website des Projekts Expect_ART

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by Christine Pauli
Christine Pauli has many years of experience as a science journalist and project manager for science communication and has worked in this position for renowned publishing houses, news agencies, universities, research institutions, companies and foundations. Parallel to her journalistic training, the biology graduate previously worked for several years as a research assistant in the field of biotechnology and biomedical research.

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