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FOTOMONTAGE der vier Kanzlerkandidaten 2025: Friedrich Merz (CDU), Olaf Scholz (SPD), Robert Habeck (Buendnis90/Die Gruenen) und Alice Weidel (AfD,v.l.n.r.)
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© IMAGO / Sven Simon
Election campaigns on television
In front of millions of viewers, the leading candidates faced off in six televised debates in the run-up to the 2025 federal elections. Researchers at the RPTU took a close look at the impact of the performances - with the help of many viewers who rated the candidates using a smartphone app.
Im Bundestagswahlkampf 2025 gab es so viele Aufeinandertreffen der Kanzlerkandidaten im Fernsehen wie noch nie. Die Formate sind gefragt und gleichzeitig sinnvoll.

Forschung zeigt: TV-Duelle sind wichtige Entscheidungshilfe

Wie kommen Politikerinnen und Politiker, die im TV miteinander diskutieren, bei der Wählerschaft an? Das erforscht der Politikprofessor Jürgen Maier. Für die Analyse der TV-Duelle 2025 nutzten Maier und sein Team moderne Technik: Wer wollte, konnte bequem von der heimischen Couch aus seine persönliche Kandidatenbewertung beisteuern.

Trotz TikTok, Instagram und Co. sind TV-Duelle nach wie vor das wichtigste Einzelereignis im Wahlkampf. Kein anderes Format erreicht so viele Menschen. Jürgen Maier hat das in über 20 Jahren Forschung zu politischer Kommunikation im Fernsehen immer wieder festgestellt. Auch im diesjährigen kurzen Bundestagswahlkampf, in dem es gleich sechs Begegnungen der Spitzenkandidaten von CDU, SPD, Bündnis 90/Grüne und AFD gab, sei dies nicht anders gewesen: „Das Duell zwischen Scholz und Merz am 9. Februar sahen rund 12,5 Millionen Zuschauer. Solche Einschaltquoten erreichen sonst nur große Unterhaltungsshows oder Sportereignisse“, ordnet der Politikwissenschaftler ein.

Forschungsfeld TV-Duelle

Bei TV-Duellen, das zeigt die Forschung, schalten auch Menschen ein, die sich sonst kaum für Politik interessieren. „Viele Bürgerinnen und Bürger empfinden Politik heutzutage als unübersichtlich“, so Maier. „Jeder Politiker äußert sich über Social Media und andere Kanäle mit Statements, die mal sinnvoll, mal weniger sinnvoll oder provokant sind. Für viele ergibt das eine verwirrende Kakophonie aus Stimmen und Positionen. TV-Debatten bieten eine Gelegenheit, um sich einen Überblick zu verschaffen. Die Spitzenkandidaten treten auf, diskutieren die wichtigsten Themen und liefern konkrete, zugespitzte Aussagen in verständlichen Worten. Das macht solche TV-Debatten zur wertvollen Orientierungshilfe.“

Dazu kommt: Die „Politikshows“ regen Menschen dazu an, mit anderen darüber zu sprechen – am Arbeitsplatz, in der Familie oder in sozialen Netzwerken. Diese Anschlusskommunikation trägt ebenfalls zur Meinungsbildung bei und kann die Wirkung der Debatten noch verstärken. „Wir sehen, dass sich die Einschätzungen der Zuschauerinnen und Zuschauer nach der Debatte oft noch einmal verändern, wenn sie mit anderen darüber sprechen oder Medienberichte dazu lesen.“ Solche Faktoren verleihen TV-Duellen eine besondere Stellung in Wahlkämpfen. „Das macht sie zu einem hochinteressanten Feld für die Grundlagenforschung im Bereich der politischen Kommunikation“, erklärt Maier.

Studien seit 2002

Die experimentelle Forschung zu TV-Duellen hat an Maiers Fachbereich Kultur- und Sozialwissenschaften Tradition. Schon 2002, beim ersten Format dieser Art in Deutschland, als der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder und sein CSU-Herausforderer Edmund Stoiber aufeinandertrafen, setzten der damalige Nachwuchswissenschaftler Maier und weitere Forschende Studienteilnehmer im Uni-Computerlabor an Rechner, an denen diese ihre Reaktionen über Plus- und Minus-Tasten eingaben.

2005 verfeinerten stufenlose Drehregler die Methoden; 2013 brachte dann eine Kooperation mit Informatikern den entscheidenden technischen Fortschritt. Gemeinsam entwickelte man eine App für Echtzeitmessungen direkt auf dem Smartphone oder Tablet. „Das bot ganz neue Möglichkeiten“, berichtet Maier. „Es spielte keine Rolle mehr, ob die Studienteilnehmenden in Kaiserslautern, Kiel, München oder im Labor in Landau saßen – die Forschung wurde deutlich partizipativer und erreichte eine viel breitere Zielgruppe.“

Echtzeitbewertung

Vor der diesjährigen Studie wurde die Technik mit Hilfe des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI), Informatikern an der RPTU und der coneno GmbH, einem Spin-Off des DFKI, weiterentwickelt.

Hand mit Handy, auf der die App
Daumen hoch oder Daumen runter - mit der App "real smart" lassen sich die Duellanten bequem von zu Hause aus bewerten. Foto: RPTU

Mit umfangreicher Öffentlichkeitsarbeit wurden mögliche Teilnehmerinnen und Teilnehmer dazu eingeladen, sich die Anwendung „real smart“ herunterzuladen und an einem oder mehreren der sechs TV-Termine von zu Hause aus Daten beisteuern. Dazu beantwortete man am jeweiligen Abend zunächst einige Fragen in der App, etwa zu politischen Präferenzen und zur Wahrnehmung der Kandidaten. Als die Übertragung dann lief, konnten die Teilnehmenden per simplem Schieberegler oder per Daumen hoch/runter-Button den jeweils sprechenden Politiker, beziehungsweise die Politikerin bewerten. Im Anschluss sollten die Teilnehmenden die eingangs gestellten Fragen noch einmal beantworten.

Spielfilm als Gegencheck

„So konnten wir sekundengenau sehen, wie die Zuschauerinnen und Zuschauer auf bestimmte Aussagen oder Verhaltensweisen reagierten. Wenn ein Kandidat besonders überzeugend oder unsicher wirkte, zeigte sich das sofort in den Bewertungen“, erklärt der Politikwissenschaftler. Zum Abgleich lief beim ersten Scholz-Merz-Duell vor Ort an der Uni ein kontrolliertes Experiment mit Studierenden: Eine Gruppe verfolgte das TV-Duell, während eine Kontrollgruppe stattdessen einen Spielfilm schaute. Beide Gruppen mussten – wie die Teilnehmenden zu Hause – Fragebögen vor und nach dem TV-Duell, beziehungsweise Film ausfüllen. Damit grenzten die Forscher durch das TV-Duell ausgelöste Wahrnehmungseffekte von anderen Einflüssen ab. Denn: Ändert das experimentelle TV-Duell-Publikum seine Kanzlerpräferenz oder Wahlabsicht in größerem Maße als die Kontrollgruppe, ist dies auf eine ursächliche Wirkung der TV-Debatte zurückzuführen.

Dank der direkten digitalen Erfassung konnte das Projektteam schon am Folgetag erste Ergebnisse anhand der Fragebögen online veröffentlichen. Mehr Zeit brauchte das Team, darunter Studierende, für eine ausführliche Auswertung, etwa die Verknüpfung der Bewertungsdaten und dem inhaltlichen Ablauf der Debatten mithilfe statistischer Methoden.

Einfluss messbar

Viele Ergebnisse der aktuellen Untersuchung bestätigen die Befunde der vergangenen zwanzig Jahre. „TV-Duelle haben nachweisbar einen Einfluss auf Wahlentscheidungen und Politikerinnen und Politiker können in diesen Formaten ihre Sympathiewerte verbessern“, resümiert Maier. „Auch in diesem Jahr verbesserten sich die Bewertungen im Schnitt um bis zu 0,8 Skalenpunkte.“ Die Studie belegt ebenso, dass Duelle insbesondere für unentschlossene Wähler eine Entscheidungshilfe sein können: Der Anteil der Unentschlossenen verringerte sich nach den Debatten im Mittel um drei bis fünf Prozentpunkte, 14 Prozent änderten ihre Kanzlerpräferenz, 18 Prozent ihre Wahlabsicht.

Auch Überraschendes

Doch es gab auch unerwartete Erkenntnisse. „Die Formate, bei denen die Kandidaten mit Bürgerinnen und Bürgern diskutierten, wie "ZDF Klartext" oder die "ARD Wahlarena", haben ähnliche Wirkungen auf Wahlabsicht und Kanzlerpräferenz gezeigt, wie die konfrontativeren Duelle.

Das ist überraschend, weil bisher angenommen wurde, dass eine direkte Auseinandersetzung stärkere Effekte erzielen. Anscheinend steuern die Bürgerforen etwas bei, was die Duelle nicht leisten: Sie lassen den Wahlkampf weniger negativ und personalisiert wirken. Dieser Kontrast war in der Forschung bislang nicht bekannt und zeigt, dass solche Formate eine andere, stärker demokratieunterstützende Funktion haben können. Vielleicht ist es eine Überlegung wert, solche Sendungen regelmäßig auch abseits von Wahlkämpfen auszustrahlen.“

Methode funktioniert

„Ohne die Technik, die hervorragend funktioniert hat, wäre eine solche umfassende Erhebung nicht möglich“, sagt Maier. Auch waren beeindruckend viele Menschen bereit, mitzumachen, 1.521 nahmen beim ersten Duell von Scholz und Merz teil, viele blieben bei Folgeterminen mit an Bord. „Das gibt uns die Chance, Veränderungen bei denselben Teilnehmern bei verschiedenen Formaten zu untersuchen – diesen Ansatz gab es meines Erachtens bisher noch nicht.“

Trotz der guten Beteiligung sei es eine organisatorische Herausforderung gewesen, für eine Teilnahme zu werben. „Wir werden Strategien entwickeln, um bei künftigen Studien die Reichweite und die Teilnehmerakquise wirkungsvoller zu gestalten.“

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Prof. Dr.
Jürgen
Maier
Professor für Politische Kommunikation
"Mich faszinieren politische Strategie und politische Urteilsbildung. TV-Duelle eigenen sich wie kein anderes Format, um ihre Grundlagen zu erforschen."
Prof. Dr. Jürgen Maier ist Professor für Politische Kommunikation am Institut für Sozialwissenschaften, Abteilung Politikwissenschaft, in Landau. Seine Forschungsinteressen liegen in den Bereichen Inhalt, Wahrnehmung und Wirkung von politischen Medieninhalten, Wahlen und politische Einstellungen sowie sozialwissenschaftliche Methoden.
researcher profile on rptu.de

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Bundestagswahl 2025. Warum TV-Duelle "wichtiger denn je" sind. Deutschlandfunk, 7. Februar 2025
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TV-Duelle nicht wahlentscheidend? Doch, sagt diese App aus Kaiserslautern. SWR-Inforadio, 10 Februar 2025
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Vage bitte, aber nicht zu vage. ZEIT ONLINE, 9. Februar 2025
>> ZUM ARTIKEL

Maier, J. & Faas, T. (2019). TV-Duelle. Wiesbaden: Springer VS
>> ZUM BUCH

Maier, J., Maier, M. & Faas, T. (2022). Do televised debates affect voting behavior? Evidence from the 2009, 2013, and 2017 German federal elections. In R. Schmitt-Beck et al. (Eds.), The changing German voter. Oxford, 242-256.
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by Christoph Karcher
Christoph Karcher isa freelance journalist and communicator with a penchant for things that deserve a second look in order to tease out the interesting things in them. He studied political science and cultural studies, specialising in media, and writes about research and technology topics. He has the ambition to explain even the unwieldy without minimising it.

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