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Live-Gespräch auf der Online-Plattform X (vormals Twitter) zwischen Alice Weidel, Kanzlerkandidatin der Partei Alternative für Deutschland, und dem US-amerikanischen Tech-Unternehmer Elon Musk. Auf einem Laptop wurde der X-Account von Alice Weidel mit dem Live-Talk geöffnet. Davor wurde auf einem Smartphone der X-Account mit dem Link zu dem Live-Talk aufgerufen.
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© Imago / Hanno Bode
Politics and social media: Trust at risk
Parties in constant conflict, a sense of crisis in society – trust in politics is crumbling. Two media researchers explain the role of social media in this process

Klicks für Konflikte: Digitale Kommunikation bringt unsere politische Kultur ins Wanken – oder?

Algorithmen verstärken Polarisierung, Fake News verdrängen Fakten und untergraben das Vertrauen in politische Institutionen und deren Vertreter. Bieten soziale Medien auch Chancen für die politische Kommunikation? Ein Gespräch mit dem Medienpsychologen Stephan Winter und Christian von Sikorski, Experte für politische Kommunikation.

Herr von Sikorski, wann vertrauen Bürgerinnen und Bürger der Politik?

Christian von Sikorski: Wenn sie der Überzeugung sind, dass politische Institutionen und ihre Vertreter im besten Interesse der Bevölkerung handeln. Und wenn sie den Eindruck haben, dass politische Prozesse gerecht und transparent sind und Behörden und das Rechts- und Justizsystem zuverlässig funktionieren. Regierung und politische Institutionen sollten die Bedürfnisse der Bürger ansprechen und Wahlversprechen zumindest teilweise einhalten. Neben einem gewissen gesellschaftlichen Wohlstand sollte Politik außerdem eine respektvolle Atmosphäre schaffen, in der verschiedene Gruppen und Perspektiven Gehör finden. Für demokratische Systeme ist Vertrauen zwischen Bürgerinnen und Bürgern und politischen Institutionen fundamental. Es bildet die Grundlage für die Stabilität des politischen Systems und ermöglicht es, dass demokratische Normen eingehalten werden, wie die Akzeptanz politischer Entscheidungen, die Anerkennung von Wahlergebnissen und die Bereitschaft zur Beteiligung am politischen Prozess.

Wann schwindet Vertrauen?

Christian von Sikorski: Zumindest kurzfristig bei Korruption und politischen Skandalen und wenn Politik nicht angemessen auf Krisen und Missstände reagiert. Zum Beispiel bei Naturkatastrophen, Wirtschafts- oder Gesundheitskrisen wie die Corona-Pandemie. Auch Ungleichheit, der Ausschluss bestimmter Gruppen und eine starke politische Polarisierung – beispielsweise hinsichtlich des Umgangs mit dem Thema Migration oder hitzig geführte Diskussion im Rahmen der Corona-Pandemie – mindern das Vertrauen in Politik.

Warum ist das ein Problem?

Christian von Sikorski: Fehlendes Vertrauen kann dazu führen, dass politische Institutionen und politische Akteure delegitimiert werden. Das gefährdet die Funktionsfähigkeit der Demokratie. Ein Mangel an Vertrauen kann politisches Desinteresse, Wahlabstinenz und die Entstehung von populistischen oder extremistischen Bewegungen begünstigen. In der Folge sinkt der politische Zusammenhalt in einer Gesellschaft, was die Fähigkeit der Demokratie zur Problemlösung und zur Durchsetzung gesellschaftlicher Konsense erheblich beeinträchtigen kann. Wenn Politik es dauerhaft nicht schafft, Probleme, die die Bevölkerung als solche wahrnimmt, zu lösen, können das Vertrauen und die politische Partizipationsbereitschaft stark sinken. Solche „Schwächephasen“ können populistische Akteure für sich nutzen, zum Beispiel um Institutionen anzugreifen, gerade in den USA zu besichtigen, aber auch andere, autoritäre, Staaten, die an einer Destabilisierung einer funktionierenden, liberalen Demokratie interessiert sind. 

Welche Rolle spielen Medien dabei?

Christian von Sikorski: Sie haben eine wichtige Funktion, besonders bei aktuellen Ereignissen wie Wahlkampf oder Krisen. Bei einer ausgewogenen Berichterstattung, die beispielsweise eine Wirtschaftskrise wissenschaftlich fundiert und aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet, reagieren Menschen in der Regel anders, schreiben Informationen in der Regel eine höhere Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit zu, als wenn sie einseitigen oder fehlerhaften Posts von politischen Influencern, die eine bestimmte Agenda haben, auf sozialen Medien ausgesetzt sind. Bei digitalen Plattformen scheinen auch Algorithmen ein Faktor zu sein, die beim Ausspielen von Inhalten eine bestimmte Machart bevorzugen. Die ruhig vorgetragene, differenzierte und abgewogene politische Botschaft hat hier eher einen Nachteil.

Eine respektvolle und ausgewogene Kommunikation fördert also Vertrauen. Auf digitalen Plattformen sehen wir häufig das Gegenteil. Wir haben also ein Problem, oder?

Stephan Winter: Ja. In der jetzigen Lage passt das, was man für politisches Vertrauen braucht oder sich wünschen würde, nicht mit dem zusammen, was in sozialen Medien verstärkt wird. Aber ich wäre nicht so pessimistisch, dass soziale Medien zwangsläufig in die Polarisierung führen müssen. Vielleicht ist das nur der aktuelle historische Zustand oder die derzeitige Art, wie Social-Media-Plattformen gestaltet sind. Ich habe grundsätzlich noch die Hoffnung, dass man Social Media in Zukunft so nutzen oder anpassen könnte, dass es nicht immer nur das Konflikthafte betont. Und in der Vergangenheit gab es durchaus demokratisch positive Effekte von Social Media, beispielsweise für demokratieorientierte Vernetzung während des Arabischen Frühlings. In der aktuellen Konstellation von politischer Lage und Ausrichtung der Plattformen sieht es allerdings nicht gut aus.

Christian von Sikorski: Ich sehe das genauso. In Deutschland sehen wir zudem, dass viele eine Mischung aus verschiedenen medialen Informationen konsumieren. Natürlich sind immer mehr Menschen auf Social Media unterwegs und begegnen dort auch politischen Inhalten, auch in Form von Fehlinformationen und aufgeregten und polarisierenden Posts. Gleichzeitig haben wir noch einen relativ starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk sowie andere klassische Medien, die weiterhin von vielen genutzt werden und die auch selbst auf digitalen Kanälen präsent sind. In Ländern mit geschwächten journalistischen Institutionen, in denen soziale Medien die dominierende Quelle sind, haben wir eine völlig andere Situation. Denn dann sind Menschen darauf angewiesen, sich fast ausschließlich über Social Media zu informieren.

Das heißt, man muss zwischen Medienkanälen differenzieren?

Christian von Sikorski: Ja, man muss bedenken, dass Menschen soziale Medien häufig nicht primär mit der Absicht nutzen, sich politisch zu informieren. Sie öffnen Instagram oder TikTok, um zu sehen, was gerade passiert, aber das ist nicht das gleiche Rezeptionsverhalten, wie wenn sie gezielt die Tagesschau einschalten und sich auf diese Nachrichtenquelle verlassen. Diese Informationsströme laufen parallel. Das macht es für uns schwierig, sie isoliert zu analysieren.

Stephan Winter: Wir müssen zwischen Plattformen unterscheiden. Social Media ist keine einheitliche Kategorie. X oder Facebook funktionieren anders als TikTok oder Instagram. Auf stärker visuell orientierten Plattformen wie TikTok oder Instagram stammen die Hauptinhalte zum Beispiel oft von Influencern, Celebrities oder anderen Social-Media-Persönlichkeiten. Auch, wenn klassische Medien ihre Aktivitäten dort ausbauen, sind journalistische Inhalte  im Vergleich weniger präsent. Die Frage ist dann: Wie glaubwürdig sind die dort verbreiteten Inhalte? Welche Probleme entstehen dadurch?

Christian von Sikorski: In einem aktuellen Forschungsprojekt untersuchen wir beispielsweise, wie sich die Follower ausgewählter Influencerinnen und Influencer nicht nur in Lifestyle- und Konsumfragen, sondern auch in politischen und gesellschaftlichen Themen beeinflussen lassen. Beispielsweise, wenn es darum geht, sich für Klimaschutz zu engagieren oder eine bestimmte politische Haltung zu entwickeln. Das ist spannend, weil hier Menschen erreicht werden, die sonst keine klassischen Nachrichten konsumieren und wir sehen erste Hinweise darauf, dass Influencer tatsächlich eine Art Brücke zu politischer Information auf klassischen journalistischen Medien sein können.

Wie blickt die Medienpsychologie generell auf die Meinungsbildung durch soziale Netzwerke?

Stephan Winter: Wir sehen unter anderem komplexe Wechselwirkungen, zum Beispiel, dass bestimmte Eigenschaften von Medien menschliche Tendenzen verstärken. Ein Beispiel: Wir neigen dazu, Informationen zu bevorzugen, die unseren Standpunkt bestätigen. Das nennen wir Confirmation Bias. Der Einfluss sozialer Medien kann dann darin bestehen, diese Tendenz durch die Verfügbarkeit meinungskonformer Inhalte oder Algorithmen zu verstärken.

Warum vertrauen manche Menschen Plattformen als Hauptinformationsquelle, obwohl sie in anderen Bereichen eher kritisch sind?

Stephan Winter: Menschen bewerten die Glaubwürdigkeit von Informationsquellen unterschiedlich. Viele halten klassischen Journalismus für glaubwürdig, andere – oft Personen mit extremeren Voreinstellungen – gerade nicht. Der Prozess ist aber ähnlich: Ich nutze die Quelle als Hinweisreiz, um zu entscheiden, ob ich eine Information akzeptiere. Der zweite wichtige Punkt ist die inhaltliche Ausrichtung der Nachricht: Widerspricht eine Botschaft meinem Weltbild, empfinde ich kognitive Dissonanz, also die Situation als unangenehm. Das möchte ich vermeiden. Wenn ich auf einer Social-Media-Plattform eher Inhalte bekomme oder ansteuern kann, die meine Meinung bestätigen, bin ich geneigt, diese für glaubwürdig zu halten und weiter zu nutzen.

Welche Rolle spielen die vielbeschworenen Algorithmen bei der Verstärkung von Filterblasen und Echokammern?

Stephan Winter: Algorithmen können die eben genannte Tendenz durch das Ausspielen meinungskonformer Inhalte verstärken. Reine Echokammern, in denen fast nur noch Gleichgesinnte miteinander kommunizieren, sind aber selten und finden sich allenfalls in Extremgruppen – gerade dort können sie natürlich relevant sein.

Was kann Verzerrungen und Desinformation entgegenwirken?

Stephan Winter: Nutzerinnen und Nutzer können versuchen, sich ihre eigenen Verzerrungen bewusst zu machen und die abonnierten Kanäle etwas ausgewogener zu gestalten. Die Politik sollte mehr Transparenz, zum Beispiel bezüglich der Wirkweise von Algorithmen, von den Plattformen fordern. Grob gesagt, gibt es kein Allheilmittel, aber verschiedene Ansätze: Faktenchecks und Korrekturen sind wirksam, insbesondere wenn sie eine Alternativerklärung liefern und über generelle Mechanismen der Desinformation aufklären. Wesentlich ist auch, darüber aufzuklären, warum es wichtig ist, sich ausgewogen zu informieren, das kann schon in der Schule beginnen.

Nun beobachten wir in den USA aber eine Abkehr von Faktenchecks, etwa bei X und Meta.

Stephan Winter: Ja, wenn die Verfügbarkeit von Desinformation zunimmt und gleichzeitig Faktenchecks zurückgehen, ist das zweifellos problematisch für demokratische Diskurse. Gerade bei X haben wir es mit einer Vermengung von politischen und wirtschaftlichen Interessen zu tun. Das ist eine Situation, die hochproblematisch ist und vor einiger Zeit noch undenkbar schien. Auch, dass die US-Regierung Einfluss auf die Art und Weise nehmen will, wie Social-Media-Plattformen Inhalte in Europa moderieren, ist brisant.

Sehen Sie trotz dieser Entwicklungen Chancen für eine vertrauensfördernde digitale Kommunikation?

Christian von Sikorski: Journalistinnen und Journalisten sollten sich nicht vollständig der Logik sozialer Medien anpassen, sondern weiterhin ihre journalistischen Werte hochhalten. Gerade wenn es darum geht, Social Media nicht den Lautesten zu überlassen.

Stephan Winter: Aufgeben zählt nicht. Aus der Forschung lässt sich momentan keine hundertprozentige Lösung ableiten, aber seitens der Politik wäre es sicherlich wichtig, Social Media nicht den politischen Rändern zu überlassen, grundsätzlich einen Dialog auf Augenhöhe zu suchen, offen mit Unsicherheiten bei politischen Prozessen und Entscheidungen umzugehen und sich dafür einzusetzen, dass unterschiedliche Bevölkerungsgruppen repräsentiert sind. Dazu gehört beispielsweise die Sichtbarkeit auch jüngerer Abgeordneter.

Eine letzte Frage: Wie fühlt es sich an, wenn sich im eigenen Forschungsfeld die Dinge geradezu überschlagen?

Christian von Sikorski: Wir haben definitiv Konjunktur. Die Situation ist so dynamisch, dass es oft eine Gratwanderung ist, ob wir auf aktuelle Entwicklungen aufspringen müssen oder ob wir uns auf unsere grundsätzlichen und eher langfristigen Forschungsthemen konzentrieren: Politische Polarisierung, Social-Media-Influencer als Nachrichtenquelle sowie künstliche Intelligenz und Medienkommunikation.

Stephan Winter: Die jüngsten Entwicklungen, insbesondere in den USA, haben mich auch persönlich überrascht. Dass eine Plattform wie X ihren Algorithmus so stark auf extreme Inhalte ausrichtet, hätte ich in diesem Ausmaß nicht erwartet. Das ist als Bürger und Forscher gleichermaßen besorgniserregend. In der Forschungslage überschlagen sich die Entwicklungen ebenfalls. Es kommen ständig neue Arbeiten heraus, und es ist manchmal schwierig, mit den technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen Schritt zu halten. Es besteht die Gefahr, dass die Forschung der Realität hinterherhinkt.

Unser Ansatz ist deshalb, allgemeinere Theorien zu entwickeln, die nicht nur für X gelten, sondern generell dafür, welche Mechanismen es bei der Wahrnehmung wahrer und falscher Informationen in sozialen Medien gibt. Dazu führen wir differenzierte Studien mit Versuchspersonen durch, bei denen wir verschiedene Kontexte analysieren, um nicht einfach nur zu sagen: „Social Media ist schuld.“

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Porträtfoto Stephan Winter
Prof. Dr.
Stephan
Winter
Professor für Medienpsychologie
"In Zeiten von KI und Algorithmisierung ist die Auseinandersetzung mit den psychologischen Mechanismen von Mediennutzung schwieriger und spannender denn je."
Stephan Winter befasst sich mit Informationsauswahl sowie Meinungsbildung und -äußerung in digitalen Formaten. Aktuell untersucht er dies insbesondere mit Blick auf wissenschaftliche Debatten und potenzielle Falschinformationen in sozialen Medien. Seit 2018 ist er Professor für Medienpsychologie in Landau, zuvor war er u.a. an der Universität Amsterdam tätig.
researcher profile on rptu.de
Porträtfoto Christian von Sikorski
Prof. Dr.
Christian
von Sikorski
Professor für Medienwirkungsforschung
"Unsere Forschung ermöglicht es mir, die Welt aus einer neuen Perspektive zu betrachten, Mechanismen sowie deren Auswirkungen besser zu verstehen."
Christian von Sikorskis Forschungsschwerpunkte liegen in der politischen Psychologie, der politischen Kommunikation und Medienwirkungen. Zudem forscht er zu (politischen) Influencern, Fehlinformationen und politischen Skandalen. Aktuell fokussiert er auf generative KI und untersucht, wie diese mediale Kommunikationsprozesse verändert und beeinflusst. Bis März 2025 war von Sikorski Professor für Politische Psychologie an der RPTU. Zum 1. April 2025 wechselte er an die Freie Universität Berlin.
researcher profile on fu-berlin.de

Du willst tiefer ins Thema eintauchen?

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Dann stöbere gerne in der Auswahl an wissenschaftlichen Publikationen von Prof. Dr. Christian von Sikorski und Prof. Dr. Stephan Winter.

Winter, S. (2023). Verschwörungstheorien in sozialen Netzwerkseiten und Messenger-Diensten aus medienpsychologischer Perspektive. In: R. Imhoff (Ed.), Die Psychologie der Verschwörungstheorien – Von dunklen Mächten sonderbar belogen... (S. 83-100). Göttingen: Hogrefe.

Klebba, L.-J., & Winter, S. (2024). Crisis alert: (Dis)information selection and sharing in the COVID-19 pandemic. Communications – The European Journal of Communication Research, 49(2), 318-338.
>> ZUM PAPER

Winter, S., Remmelswaal, P., & Vos. A. (2022). When posting is believing: Adaptation and  internalization of expressed opinions in social network sites. Journal of Media Psychology, 34(3), 177-187.
>> ZUR VERÖFFENTLICHUNG

Emily Kubin, Christian von Sikorski: The Role of (Social) Media in Politica Polarization: A Systematic Review. Annals of the International Communication Association 45 (3) 2021.
>> ZUM ARTIKEL

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by Christoph Karcher
Christoph Karcher isa freelance journalist and communicator with a penchant for things that deserve a second look in order to tease out the interesting things in them. He studied political science and cultural studies, specialising in media, and writes about research and technology topics. He has the ambition to explain even the unwieldy without minimising it.

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