

Quantenjahr 2025: Willkommen in der zweiten Quantenrevolution
Quantenphysik ist für Sie ein Buch mit sieben Siegeln? Artur Widera hat einen Tipp: „Sie müssen gar nicht alles verstehen. Akzeptieren Sie einfach, dass manche Phänomene existieren.“ Das Verhalten von Photonen, Neutronen, Quarks oder Bosonen, kleinsten Bestandteilen von Materie und Energie, ist nun mal schwer greifbar. Dass zum Beispiel zwei Teilchen so miteinander verbunden – oder in der Wissenschaftssprache ‚verschränkt‘ – sein können, dass die Veränderung des einen augenblicklich den Zustand des anderen beeinflusst – egal, wie weit sie voneinander entfernt sind –, übersteigt die Vorstellungskraft vieler Menschen. „Experimente zeigen aber eindeutig, dass es so ist“, sagt der Physikprofessor, der mit seiner Arbeitsgruppe experimentell zu Quantenphänomenen forscht.
Quantenphysik ist längst allgegenwärtig
Die Vereinten Nationen haben 2025 als 'Internationales Jahr der Quantenwissenschaft und -technologie' ausgerufen. Weltweit informieren Fachleute derzeit über deren Bedeutung für das 21. Jahrhundert. Widera ordnet ein, warum das Thema in aller Munde ist: „Quantenwissenschaft an sich ist überhaupt nichts Neues. Die erste Quantenrevolution begann, als Physiker wie Max Planck, Erwin Schrödinger und Werner von Heisenberg belegten, dass Teilchen wie Elektronen oder Photonen gleichzeitig in mehreren Zuständen sein können und sich sowohl wie Teilchen – also als kleine Objekte mit fester Position und Bewegungsrichtung – als auch wie Wellen, die sich ausbreiten und überlagern, verhalten können. Dies, sowie das Verständnis davon, dass Teilchen ihre Energie nicht kontinuierlich, sondern in kleinsten Portionen – den sogenannten Quanten – aufnehmen oder abgeben, revolutionierte das physikalische Bild der Natur und ebnete den Weg für Entwicklungen wie Laser, Halbleiter und Mikrochips.“ Quantenphysik steckt also schon längst in jedem Smartphone und in jeder Scanner-Kasse und LED-Lampe.
„Das, worüber zurzeit unter Begriffen wie Quantencomputer berichtet wird, bezeichnen wir als die zweite Quantenrevolution. Ziel ist es, bestimmte Quanteneffekte gezielt für völlig neue Anwendungen nutzbar zu machen“, erklärt Widera. Forschende und Entwicklungsteams arbeiten daran, Phänomene wie die Superposition oder Überlagerung – also die Fähigkeit von Teilchen, gleichzeitig in mehreren Zuständen zu sein – sowie die Verschränkung zu kontrollieren.
Große Erwartungen
Solche Effekte ermöglichen beispielsweise Quantencomputer, die Qubits statt Bits nutzen. Diese kleinsten Informationseinheiten können dank Superposition gleichzeitig 0 und 1 sein – und so parallele, schnellere Berechnungen ermöglichen. Quantenkryptographie weckt Hoffnungen auf eine absolut abhörsichere Kommunikation. Da jede Manipulation an Quantenzuständen diese zwangsläufig verändert, würde jeder Abhörversuch auffliegen. Denkbar sind auch Quantensensoren: „Diese könnten Hirnströme durch den Schädel messen oder das Herz eines Fötus im Mutterleib überwachen“, blickt Widera in die Zukunft. Ebenso darf die Wissenschaft auf große Fortschritte hoffen, etwa bei der Erforschung von Gravitationswellen. „Quantentechnologien könnten Messgeräte für Verzerrungen der Raumzeit bei kosmischen Ereignissen wie der Verschmelzung schwarzer Löcher viel genauer machen.“
Knackpunkt Fehlerraten
Machen Quanteneffekte unser Leben schon bald schneller und besser – oder bleibt vieles Zukunftsmusik? „Quantentechnologie ist keine reine Theorie mehr“, sagt Widera. Es existieren bereits erste Quantencomputer. Auch an der RPTU treibt Widera gemeinsam mit seinen Fachbereichskollegen Herwig Ott und Thomas Niederprüm die Entwicklung eines eigenen Quantenprozessors voran. Bei diesem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Kollaborationsprojekt mit der Universität Hamburg, dem Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM und weiteren Partnern aus Wissenschaft und Industrie verschränken Laserimpulse Atome als Qubits.
„Aber bis zu einer breiten Anwendung wird es noch Jahre dauern,“ dämpft der Physikprofessor allzu optimistische Erwartungen. „Hohe Fehlerraten und empfindliche Quantenzustände bremsen die breite Anwendung. Entscheidend sind stabile Kühlungs-, Vakuum- und Lasersysteme.“ Von diesen hängt ab, wie lange gewünschte Quantenzustände erhalten bleiben. Denn diese sind höchst empfindlich. „In jedem technischen Bauteil steckt irgendwo eine Limitierung, die am Ende die Quantentechnologie begrenzt. Unsere Forschung konzentriert sich deshalb auf Lösungen, wie wir Quanteneigenschaften in möglichst reiner Form erzeugen, erhalten und gezielt nutzbar machen können.“
Experimente mit der Lichtfalle
„Das Klischeebild des über Formeln grübelnden Wissenschaftlers ist nicht ganz falsch“, lacht Widera, wenn man ihn nach seinem Arbeitsalltag fragt. „Alleine über Rätsel zu brüten ist wichtig. Aber viel passiert im Team. Forschung ist nie eine Einzelleistung und das meiste entwickelt sich in Diskussionen und in Meetings. Der Austausch, auch in internationalen Netzwerken, ist unverzichtbar für neue Perspektiven und um blinde Flecken zu erkennen.“
Die Ergebnisse der Denkarbeit werden mit Hilfe hochmoderner Technik in einem der Physik-Labore der RPTU greifbar. Mit Kabeln verbundene Messgeräte, Laser, Optiken – alles hier ist ausgerichtet auf das Herzstück des Labors: eine kleine Glaszelle als Teil einer luftleeren Vakuumapparatur. In einer sogenannten Lichtfalle fixieren Laserstrahlen einzelne Atome bewegungslos schwebend als rund 100 Mikrometer, staubkorngroßes Gaswölkchen. Die Forschenden vollbringen hier das Kunststück, die Atome mit Laserkühlung auf Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt (-273,15 °C) herunterzukühlen – manche sprechen vom „kältesten Ort in Rheinland-Pfalz“. In dieser Eiseskälte zeigen die Teilchen ihre quantenmechanischen Eigenschaften. „Es ist jedes Mal spannend, wenn wir das Experiment starten und sichtbar wird, wie die Atome auf die von uns eingestellten Bedingungen reagieren.“
Brückenschlag zur Praxis
Die in den Messungen gewonnenen Daten und Muster auszuwerten, gleicht dann einer Detektivarbeit: Ist ein unerwartetes Signal ein interessanter Effekt, ein Messfehler oder doch nur ein harmloses Störsignal?
„Mich fasziniert, wie abstrakte Quantenphänomene, die unserem Alltagsverständnis widersprechen, im Labor plötzlich real werden. Man denkt: Das kann doch nicht sein – und dann schaltet man das Experiment ein und da ist es."
Artur Widera
Die gewonnenen Erkenntnisse fließen in Projekte mit konkretem Praxisbezug ein. Oder in das Modell eines Quantenmotors, der ganz ohne Verbrennung auskommt. Hierbei gelang es den Forschenden, in der ultrakalten Labor-Lichtfalle Energie in Arbeit umzuwandeln. Dazu nutzen sie einen bestimmten grundlegenden Quanteneffekt in Gruppen von Atomen mit speziellen Eigenschaften. Eine praktische Anwendung dieses Ansatzes liegt zwar noch in weiter Ferne. Die Studie demonstriert dennoch eine mögliche quantenmechanische Alternative zum Zünden eines Kraftstoffs und lieferte wichtige Ansatzpunkte für die wissenschaftliche Diskussion.
Aktuell arbeitet die Forschungsgruppe an Magnetfeldsensoren auf Basis von Nanodiamanten. „In diesen winzigen Kristallen gibt es spezielle Defekte, die wegen quantenmechanischer Effekte äußerst empfindlich auf Magnetfelder reagieren. Entsprechende Sensoren könnten Chirurgen helfen, Nervenbahnen während Operationen sichtbar zu machen – das wäre ein riesiger Fortschritt, um Komplikationen zu vermeiden“, betont Widera. „Das ist ein Beispiel dafür, wie unsere auf den ersten Blick abstrakte Forschung Grundlagen für etwas schafft, das in Zukunft direkt die Lebensqualität vieler Menschen verbessert.“

Du möchtest tiefer in die Quantenphysik einsteigen?
Dann stöbere in der Auswahl an wissenschaftlichen Artikeln bzw. Medienbeiträgen über Artur Wideras Forschung:
Jennifer Koch, Keerthy Menon, Eloisa Cuestas, Sian Barbosa, Eric Lutz, Thomás Fogarty, Thomas Busch, Artur Widera: A quantum engine in the BEC–BCS crossover. Nature 621, pages 723–727 (2023).
>> ZUM PAPER
Quentin Bouton, Jens Nettersheim, Daniel Adam, Felix Schmidt, Daniel Mayer, Tobias Lausch, Eberhard Tiemann and Artur Widera: Single-atom quantum probes for ultracold gases boosted by nonequilibrium spin dynamics. Phys. Rev. X10, 011018
>> ZUR VERÖFFENTLICHUNG
No-heat quantum engine makes its debut. Artikel von Dina Genkina in der Zeitschrift Physics World vom 4. Oktober 2023.
>> ZUM BEITRAG
