

Wenn Umweltbewusstsein Schule macht
Wie kann man Menschen für mehr Nachhaltigkeit sensibilisieren? Wie schärft man Umweltbewusstsein? Wie gelingt ein Umdenken auch bei wirtschaftlichen Prozessen? Ein Ansatz: Man konfrontiert Schülerinnen und Schüler mit den damit einhergehenden Problematiken – vermittelt ihnen Wissen, Werte und Handlungsoptionen, die sowohl fachwissenschaftlich als auch fachdidaktisch überprüft sind. Als solches Tandem arbeiten Dorina Strieth und Alexander Engl: Die Bioverfahrenstechnikerin und der Chemiedidaktiker entwickeln gemeinsam entsprechende Mitmachprogramme für Schülerinnen und Schüler.
Fachdidaktik-Expertise veranschaulicht komplexe Themen
Dorina Strieth zeigt sich sehr zufrieden mit dieser Kooperation: „Als Fachwissenschaftlerinnen und Fachwissenschaftler profitieren wir von den Fachdidaktiken. Denn die haben gelernt, wie man komplexe Themen verständlich umsetzt.“ Drei von der Carl-Zeiss-Stiftung geförderte Projekte sind daraus entstanden. Und darauf aufbauend das von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt geförderte Projekt CEASless. CEASless bedeutet „unaufhörlich“ und steht in diesem Fall für Circular Economy begreifen – Algen im Schülerlabor Erforschen.
Was steckt dahinter? „Circular Economy ist als Alternative zu herkömmlichen Wirtschaftskreisläufen zu verstehen“, fasst Alexander Engl zusammen, „sozusagen ein Wegkommen von dem der Natur immer nur entnehmen wollen". Der Ansatz dahinter: In unserer Konsumgesellschaft seien viele Prozesse vor allem linear aufgebaut. Heißt: die einmalige Nutzung von Gütern, deren Herstellung und Entsorgung. „Doch das bringt die Ressourcen der Erde an ihre Grenzen, widerspricht dem Gedanken von Nachhaltigkeit“, sagt Engl.
Lösungen für eine nachhaltige Landwirtschaft
Im Rahmen von CEASless beschäftigen sich Schülerinnen und Schüler der zehnten bis 13. Jahrgangsstufe mit alternativen Wirtschaftsprozessen in der Landwirtschaft. Damit adressiert das Projekt eine zentrale Branche, geht es um das Erreichen von Umweltzielen: „Etwa 50 Prozent der Fläche Deutschlands wird landwirtschaftlich genutzt“, betont Alexander Engl.
Die Landwirtschaft ist ein wichtiger Arbeitgeber, sorgt für eine hohe Menge an Lebensmittelproduktionen. Doch – und das ist die andere Seite der Medaille – sie erzeugt zugleich hohe Einträge von Stickstoffverbindungen: „Das liegt vor allem am übermäßigen Einsatz von Stickstoffdünger", erklärt Dorina Strieth. Genau diese hohen Stickstoff-Mengen bringen Probleme mit sich: „Durch eine Überdüngung entstehen gesundheitsschädliche Gase wie Ammoniak und Stickstoffoxid. Gleichzeitig gelangen Ammonium und Nitrat ins Grundwasser und belasten so die Trinkwasservorräte.“
Durch Überdüngung werde zudem Nitrat im Boden zu Lachgas abgebaut, „das 300-fach klimaschädlicher ist als CO2“. Und insgesamt schädige eine Überdüngung das Mikrobiom des Bodens, also die Gesamtheit aller dort lebenden Mikroorganismen – was wiederum die Wachstumsbedingungen beeinflusst.
Mikroalgen als Modellorganismus
Gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern gehen Dorina Strieth und Alexander Engl deshalb der Frage nach, ob eine nachhaltige Transformation der Landwirtschaft möglich ist. Genauer gesagt: Ob eine solche Transformation möglich sein könnte mithilfe von Cyanobakterien (historisch bedingt häufig noch als Mikroalgen bezeichnet). Die Bioverfahrenstechnikerin erklärt: „Wir beschäftigen uns mit diesen Modellorganismen, weil sie im Kontext der Landwirtschaft einiges zur Nachhaltigkeit beitragen könnten.“ Über Fotosynthese können sie – genau wie auch Pflanzen – etwa CO2 aus der Luft aufnehmen. „Gleichzeitig können sie Stickstoff aus der Luft fixieren.“
Im Labor analysiert Dorina Strieth die fachwissenschaftlichen Zusammenhänge. Darauf aufbauend hat Alexander Engl konkrete Angebote für Schülerinnen und Schüler ausgearbeitet: „Neben den Vorgaben, die der Lehrplan für die jeweilige Altersstufe hergibt, achten wir natürlich auch darauf, dass sich die Angebote kostengünstig umsetzen lassen und so auch in die Schulen getragen werden können.“
Für mehr Umweltbewusstsein sensibilisieren
Sechs Punkten seien bei CEASless zentral, konkretisiert Engl zu den Projektinhalten: „Das sind Recycle, Refuse, Reuse, Reduce, Repair und Rethink.“ Auf Deutsch so viel wie: Umwandeln, Ersetzen, Wiederverwenden, Reduzieren, Reparieren und Umdenken.
Seit Januar 2023 führen die Forschenden viertätige Projektwochen mit Schülerinnen und Schülern durch, um ihnen durch unterschiedliche Methoden und Materialien die sechs Prinzipien der Kreislaufwirtschaft zugänglich zu machen. „Am ersten Tag gibt es eine Einführung in der jeweiligen Schule“, erklärt Alexander Engl. Es gehe zunächst darum, das Konzept von Circular Economy begreifbar zu machen – und die Herausforderungen der Landwirtschaft zu thematisieren. So lernen die Schülerinnen und Schüler relevante Fachbegriffe, um anschließend mit journalistischen Methoden einen Nachrichtenbeitrag beispielsweise für die Tagesschau oder aber für soziale Medien in Form eines TikTok-Videos oder eines Instagram-Posts anzufertigen.
"Die zentrale Frage hinter der Diskussion: Wie kann man auf begrenzter Landwirtschaftsfläche genug Nahrung für alle Menschen produzieren und gleichzeitig den Einsatz von Kunstdünger mit Stickstoff reduzieren?"
Alexander Engl
Anschließend wird unter der Prämisse Recycle – also Umwandeln – die fachliche Grundlage des biogeochemischen Stickstoffkreislaufs in einem digitalen Lernmodul erarbeitet. Dabei wird aufgezeigt, wie sich die unterschiedlichen Stickstoffverbindungen ineinander umwandeln. Aber auch, an welchen Stellen der natürliche Kreislauf durch die Überdüngung aus dem Gleichgewicht gebracht wird.
Am zweiten Tag erleben die Schülerinnen und Schüler anhand der Prämisse Refuse, dass Mikroalgen, die bioverfügbare Ammonium-Ionen abgeben, Kunstdünger ersetzen können. Zur Anforderung „Reuse“ – also Wiederverwenden – lernen die Schülerinnen und Schüler in Kleingruppen, wie sich verschiedene Dinge möglichst sinnvoll neu zusammen basteln lassen: Im Steckkastensystem bauen sie einen Fotobioreaktor aus Alltagsmaterialien, 3D-gedruckten Teilen und Low-Cost-Sensoren sowie einen Mikrocontroller – nutzen diesen für die anschließenden Experimente. „Dabei erfahren die Schülerinnen und Schüler auch, wie Mikroalgen kultiviert werden und welche Parameter ein optimales Wachstum ermöglichen“, erklärt Engl.
Im Labor selbst Experimente ansetzen
Der dritte Tag findet im Labor statt: Die Schülerinnen und Schüler setzen Modellexperimente an, werten Versuche aus. Insgesamt drei Experimente gibt es dabei unter der Bedingung „Reduce“.
Dabei geht es darum, dass Mikroalgen in Luftwaschanlagen Ammoniak in der Atmosphäre reduzieren können. Hintergrund: Ammoniak ist eine gasförmige Verbindung des Stickstoffs, bildet sich mitunter auf landwirtschaftlich genutzten Flächen. Freigesetztes Ammoniak breitet sich in der Luft aus, reagiert mit anderen Luftschadstoffen und bildet Feinstaub.
Im Modellexperiment werden in zwei Boxen Luffa-Schwämme gegeben (im Gegensatz zu Kunststoffschwämmen als Naturprodukt hundertprozentig kompostierbar), die entweder nur mit Wasser getränkt sind oder auf denen Mikroalgen wachsen. „Dann wird die Luft mit Ammoniak angereichert und anschließend die Ammoniak-Konzentration mithilfe eines Sensors an einem Mikrocontroller gemessen“, erklärt Alexander Engl: „Die Schülerinnen und Schüler sollen so erkennen, dass Mikroalgen Ammoniak abbauen können.“
In einem weiteren Experiment lernen die Schülerinnen und Schüler das Potenzial von Mikroalgen für Trinkwasseraufbereitungsanlagen kennen – Alexander Engl: „Mikroalgen verstoffwechseln Nitrat, welches das Wasser belastet und wandeln dieses in Biomasse um.“ Im Modellexperiment werden Mikroalgen in einer Nitrat-Lösung über mehrere Tage kultiviert und davon Proben genommen. Die Nitrat-Konzentration wird mit einem Fotometer gemessen, wobei die Schülerinnen und Schüler feststellen, dass sich eine – durch Überdüngung entstehende Trinkwasserverunreinigung – reduzieren lässt.
Im dritten Modellexperiment wird Boden in einer Box entweder mit Mikroalgen oder mit Kunstdünger in Form von Ammoniumsulfat gedüngt. Die Ammoniak-Konzentration wird mithilfe eines Sensors gemessen. Die Schülerinnen und Schüler lernen, dass sich die Entstehung von gesundheitsschädlichen Gasen wie Ammoniak und klimaschädlichen Gasen wie Lachgas verhindern lässt.
Und unter „Repair“ erarbeiten die Schülerinnen und Schüler, wie sich mithilfe von Mikroalgen landwirtschaftlich genutzter Boden regenerieren lässt. Bei überdüngtem Boden wird das Mikrobiom geschädigt, was sich negativ auf die Wasseraufnahmefähigkeit auswirkt. Im Experiment wird daher Boden entweder mit Mikroalgen oder mit Kunstdünger in Form von Ammoniumsulfat gedüngt, anschließend Wasser dazugegeben. Während das Wasser bei der Probe mit Mikroalgen schnell im Boden versickert, steht das Wasser selbst nach drei Minuten noch auf dem künstlich gedüngten Boden.
Rollenspiel und Podiumsdiskussion
Am vierten Tag werden die Erkenntnisse zusammengetragen – dem „Rethink“ wird so Rechnung getragen: Die Schülerinnen und Schüler führen ein Rollenspiel mit Podiumsdiskussion durch. Alexander Engl erklärt: „Dabei nehmen sie verschiedene Rollen ein, sind beispielsweise Vertreter oder Vertreterin einer NGO, aus der Politik, aus der Wissenschaft oder aus der Landwirtschaft.“ Die zentrale Frage hinter der Diskussion: „Wie kann man auf begrenzter Landwirtschaftsfläche genug Nahrung für alle Menschen produzieren und gleichzeitig den Einsatz von Kunstdünger mit Stickstoff reduzieren?" Über das Rollenspiel und dem damit verbundenen Perspektivenwechsel soll die Bewertungskompetenz und Argumentationsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler gefördert werden.
Fachdidaktische Forschung überprüft Mehrwert
Und wie wird aus fachdidaktischer Sicht der Erfolg eines solchen Projektes gemessen? Alexander Engl: „Wir führen mit den Schülerinnen und Schülern Befragungen durch.“ Mithilfe eines Evaluationsbogens – der sowohl am ersten als auch am vierten Tag verteilt wird. Auf diese Weise werde bei den Teilnehmenden abgefragt, wie sich das Verständnis für Nachhaltigkeit und Natur bei ihnen entwickelt hat: „Also, was ist währenddessen passiert? Hat sich die Einstellung zu Umweltfragen verändert?“ Auch um im größeren Maßstab die Wirksamkeit überprüfen zu können, führen die Forschenden mehrere Projektwochen mit Schulen der Umgebung durch. „Zudem arbeiten wir mit der Uni Osnabrück zusammen, die ebenfalls Angebote zu Circular Economy mit Schülerinnen und Schülern ausbringt. Unser Fragebogen läuft dort mit und ihr Fragebogen bei uns.“
„Als Fachwissenschaftlerinnen und Fachwissenschaftler profitieren wir von den Fachdidaktiken. Denn die haben gelernt, wie man komplexe Themen verständlich umsetzt.“
Dorina Strieth
Gibt es bereits Erkenntnisse? Alexander Engl: „Die Ergebnisse aus der Vorstudie zeigen, dass die eingesetzten Materialien die Motivation fördern und hinsichtlich ihrer Anforderung passend zu den Fähigkeiten der Zielgruppe gestaltet sind.“ Weiterhin konnte gezeigt werden, „dass sich die persönliche Betroffenheit sowie die Selbstwirksamkeit als relevante Einflussfaktoren zur Förderung von umweltgerechtem Verhalten im Verlauf der Projektwoche mit einem großen Effekt signifikant positiv verändert“.
Die Lernangebote sind in Lehrveranstaltungen zukünftiger Lehrerinnen und Lehrer aufgenommen worden – beispielsweise im Studiengang B. Ed. Chemie im Rahmen des Seminars "Projekt Umweltchemie" sowie im Studiengang B. Ed. Biologie im Rahmen der Laborübung "Chemisches Grundpraktikum". Alexander Engl: „Zudem haben wir bereits Anfragen von unseren Kooperationsschulen für eine Projektwoche in 2026.“ Generell seien alle Materialien aber auch als Open Educational Ressources auf der Homepage frei verfügbar – „und daher auch ohne unser Mitwirken in den Unterricht integrierbar“.
Was sind die nächsten größeren Schritte? Alexander Engl: „Wir wollen darauf aufbauende Projekte entwickeln.“ Dabei geht es beispielsweise auch um Virtual Reality. Etwa ein dystopisches Szenario, „in dem man sich in naher Zukunft auf einer Erde befindet, auf der es nicht mehr viel gibt. Einzig Mikroalgen gibt es noch. Wie schafft man es, mit deren Hilfe dann vielleicht doch noch Lebensmittel anzubauen.“ Die Ideen für gemeinsame Projekte gehen dem Fachdidaktiker und der Fachwissenschaftlerin nicht aus. Dorina Strieth ist begeistert: „Es macht zugleich ja auch unheimlich viel Spaß.“


Du willst noch mehr zum Thema wissen?
Dann haben wir hier eine Auswahl an wissenschaftlichen Publikationen für dich:
Geuer, L., Erdmann, N., Kollmen, J., Otteny, A., Wastian, K., Wallrath, S., Engl, A., Risch, B., Ulber, R. & Strieth, D. (2025). Educational approaches to bioprocess engineering using DIY bioreactors for scientific literacy. Education Sciences 15(3), 323;
>> ZUM PAPER
Risch, B., Bier, T., Engl, A., Jupke, I., Strieht, D., Wallrath, S., Weinberger, P. & Zachert, I. (2024). CEASEless: Circular Economy begreifen – Algen im Schülerlabor erforschen. In: LernortLabor – Bundesverband der Schülerlabore e. V. (Hrsg.), Es geht rund im Schülerlabor. Circular Economy vermitteln. S. 26-33.
Wallrath, S., Engl, A., Erdmann, N., Kollmen, J., Strieth, D. & Risch, B. (2023). Mikrocontroller als Low-Cost Technologie: Monitoring von Wachstumsparametern bei Mikroalgen in einem 3D-gedruckten IoT-Photobioreaktor. MNU journal, 76(5), 360-365.
Risch, B., Zachert, I., Engl, A., Przywarra; T. & Strieth, D. (2023). Circular Economy Begreifen – Algen im Schülerlabor Erforschen (CEASEless). In: van Vorst, H. (Hrsg.), Lernen, Lehren und Forschen in einer digital geprägten Welt. Gesellschaft für Didaktik der Chemie und Physik, Jahrestagung in Aachen 2022. S. 616-619.
